Dienstag, 2. Februar 2016

Weihnachten













Es leuchtet und glitzert allüberall . . .


Die Dörfer am Küstenabschnitt oder einige Serpentinen weiter oben heissen Mirtos, Mournies, Mithi oder Krevvatas, Kalmenos, Kalami. Oder Sikologos. Hier leben die Sikologen. Die übrig gebliebenen. Parasikologen (aus Holland, England, Tschörmany) hat`s keine, denn das Dorf liegt nicht am Meer. Sikologos stirbt und lebt zugleich. Die Weihnachtsbeleuchtung hängt das ganze Jahr am Baum, der die Dorfmitte markiert. Wer soll sie herunterholen? Und wozu? Und wieder aufhängen? Eben: sie leuchtet ohne zu leuchten.

Michalis leuchtet auch. Er führt die Dorfkneipe. Alt und allein. Beide Söhne hat er verloren. Die Kneipe ist voller Photos aus früheren Zeiten und noch voller von Pin-up-Girls aus neueren Zeiten. Manchmal streichelt er zärtlich über einen jungen Frauenkörper. Um zwei Uhr schliesst er und zieht sich müde für ein Schläfchen zurück. Kein Problem für die wenigen Gäste. Man hat eh kein Geld.






Karge Zeiten. Der Raki hilft beim Überleben, stärkt Geist und Seele. Und die Zuversicht. Oder das „Wir lassen uns nicht unterkriegen“. An den sonnigen Abhängen zur Küste hinunter pflanzt man Gemüse und exotische Früchte. Zum Teil biologisch. Aber was bleibt am Schluss nach den Abgaben an den Staat? Man ist gegen jede Regierung, die den Forderungen der EU nachkommen will. Hat man eine andere Lösung?

Hat Giorgios eine Lösung, der zum täglichen Raki-trinken nach Mirtos hinunter kommt und ein paar Orangen und sein Buch, in welches er spontan Gedichte schreibt, im Rucksack trägt? 



Schon am ersten Tag in Mirtos lerne ich den Gentleman des Dorfes kennen. Einen älteren Herrn im Anzug, mit Hemd und Krawatte, braunen Lederhalbschuhen und mit Hut. Er hebt sein Gläschen und lächelt mir mit seinen kleinen, lebhaften Äuglein zu. Da lächelt mehr als nur der Blick. Englisch kann er nicht. Französisch ein bisschen. Bald erwähnt er Rumänien. Rumänien? „Ich bin aus Rumänien und bin für ein paar Wochen hier.“ Also setzen wir unser Gespräch auf Rumänisch fort! Octavian ist distinguiert und persönlich, gebildet und schalkhaft, neugierig und charmant, 75 und wach. Keine Frau kommt ohne Handkuss weg. (Für die ausgewanderte Bulgarin, die hier eine alte Kreterin pflegt, ist es wohl der erste und letzte Handkuss ihres Lebens.) Seit Ceausescus Zeit arbeitet er im Maramures für Kultur, Kunst und Literatur. Mit derselben Begeisterung redet er über Speck, Brot und Schnaps in der Winterkälte Rumäniens. (Und kein Rumäne verreist, ohne ein Stück von diesem Speck und ein paar Pet-Fläschchen Selbstgebrannten dabei zu haben. – Ich sollte noch davon profitieren.)




Und sonst? – Leuchtet`s und glitzert`s. Die Sonne am blauklaren Himmel, die Sterne am nachtklaren Himmel, das Meer (na ja, man kennt`s), das Grün, das auch im Winter nicht verschwindet und die Farben der Blumen, die durch ihre eingeschränkte Präsenz umso mehr auf sich aufmerksam machen. Hätte ich doch nur eine kurze Hose mitgenommen…