Dienstag, 12. Januar 2016

Visitors from Mars










In der Wüste zu sein und kein Wasser zu haben 


Ich hab`s nie erlebt und möchte es auch nicht erleben. Aber in Britannien – jetzt in Wales – ist das Wasserproblem ein anderes. Es hat seit Wochen so viel geregnet, dass der Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen kann. Auf den Wiesen sind kleine Seen entstanden. Ausser den fixen „Flood likely“-Schildern hat man zusätzlich weitere an den Strassenrand gestellt, ohne „likely“, nur noch „Flood“. Aber man nimmt es britisch gelassen. Ein Kurzärmliger (bei 5°) hat den Boden als „soft“ bezeichnet. „Die kennen eben nichts Anderes“, sagen wir jeweils, um den Gleichmut der Elenden zu erklären. Die Italiener würden sich in Pullover und Mäntel einpacken und vor den Fernsehkameras die Hände verwerfen und gegen den Staat fluchen. Und im Frühling bei den nächsten Wahlen wieder dieselben gealterten Pornostars in die Regierung wählen. „Die kennen nichts Anderes.“ – Also kein Wasserproblem.

Doch! Ich frage bei einem Laden in einem Walisischen Kleinkaff, ob ich draussen am Wasserhahn meinen Kanister füllen kann. (Rückblende – Syrien und Jordanien 2011: Dort hat man den Wassertank des Wohnwagens, 100 Liter, gefüllt, und ich durfte nicht mal mithelfen. Dafür musste ich noch Tee trinken anschliessend.) Da ich mich als Ausländer an die hier geltenden Sitten anzupassen versuche, vermeide ich es möglichst, jemanden um einen Gefallen zu bitten. Aber 20 Liter Wasser (ein wieviel Millionstel der gefallenen Regenmenge?) – es musste sein.  Verkäuferin (freundlich): „Water? From the tab?“ (überlegt) „Ich gehe kurz den Chef fragen.“ Chef kommt persönlich, (freundlich): „Water? One canister? No!“ Reisender (freundlich): „Why not? Und why gerade not hier, wo es kübelweise Wasser vom Himmel schüttet?“ Chef (freundlich): „We have to pay for the water , it`s not free.” Reisender (überlegt, entscheidet ruhig zu bleiben, dann freundlich): „So it`s No?“ Chef (freundlich): „Yes, it`s No.“ Reisender (hat eine Idee, und freundlich): „I pay for it.“ Chef (freundlich): “Okay, 1 Pound.” Reisender sagt, er gehe jetzt den Kanister füllen und komme nochmals um etwas einzukaufen. Drei Minuten später, Chef (freundschaftlich): „Good car! American? What engine?“ Während ich meine paar Sachen von den Gestellen nehme, sehe ich klar, was ich auch noch brauche: Zwei Mars-Riegel. Preis über 1 Pound und schön kompakt. Passen gut in die Hosentasche. „Have a nice day!“ „Same to you, and thanks for the deal!“

Die Landschaft von Wales strahlt diese Mischung aus Ungastlichkeit, Rauheit und Zauber aus. Wie die Gegend um ein Vampirschloss. Einladend und verscheuchend gleichzeitig. Hier lebt niemand freiwillig. Nur die, die hier unfreiwillig geboren sind. Die Strassen sind eng, meist mit hohen Hecken als Scheuklappen. Wenn man einen Ausblick hat, ist er eindrücklich, aber man möchte nicht bleiben. Dunkle Steinhäuser, von Dreck und Matsch umgeben, als Farbtupfer ein Traktor daneben.


Die Schnittstelle von Traum und Wirklichkeit, Ort der unvergebenen, nicht begangenen Sünden, kaltes Fegfeuer.

Ort des Kultes. Ein Steinkreis aus der Zeit, bevor der Kreis erfunden war. Steinkreis in Linienform. Gänsehaut treibend. Ich suche nach Erklärung, nach Beschwichtigung, nach Wirklichkeit. Ach, nur eine Panzersperre, haben wir in der Schweiz auch noch ein paar übrig, gegen die russischen Panzer, die nie kamen. Eben, Albtraum und Wirklichkeit.


Die Steine sind versehen mit Steinscharrkunst. Was bedeutet die gegen innen sich drehende Schlangenlinie? Dass der Mensch gefangen ist? Warum nehme ich sie nicht wahr als von innen gegen aussen sich windend und in die Freiheit führend?

Und das zweite Ornament. Ein Labyrinth? Von Kafkas Urahnen? Denn es gibt hier im Gegensatz zu der Rätselseite der Jugend-Illustrierten gar keinen Weg, der in die Mitte führt.




Und dann kam ein UFO, und das wollte landen bei den Steinen, und es landete auch, und einer kam zu mir und fragte mich etwas in schlechtem Gälisch-Keltisch-Walisisch, und ich sagte frech und freundlich „Sorry, hier sicher nicht“, und er deutete mit dem Daumen der einen ausserirdischen Hand in seinen Mund und mit der andern Hand auf seinen Bauch, und ich sagte „Oh, hungry you are and you have thirst, look, you can have my two Mars (hätte ich Marses sagen sollen?) and for 1 pound I give you also water“, aber dann legte der Unverschämte eine Hand an seinen schräg gestellten Kopf, und ich sagte laut und freundlich „No, suerly not, hier wird nicht overnight geschlafen!“ Er hat`s kapiert, ist zurück in seine Tasse gewieselt, und ich habe noch nie ein Ufo so schnell davonfliegen gesehen. Und meine zwei Mars hatte ich immer noch.

Eine Stunde später bin ich an der Küste. Die Sonne scheint, und die grün und braunrot bewachsenen Hügel ziehen sich sanft zum Meer hinunter. „Lovely“, würden die Engländer sagen. Und die Waliser? „Llgwychighynst“ wahrscheinlich oder so ähnlich. Kurz, ja nur ganz kurz: ein grosser, leerer Parkplatz bei den Dünen, und, klar doch…!

Ich lasse es mir nicht nehmen, wenigstens ein paar Schritte zu tun und sonnenbestrahlt etwas Kleines zu essen. Und – Lieblichkeit und Grausamkeit sind nahe beieinander – eine Foto zu machen von dem, was sich oberhalb befindet: Eine Panzersperre. Eine heutige, moderne. Nicht aus tonnenschweren Steinblöcken, alles in Leichtbauart. Kriegstechnologisch fortschrittlich, im täuschenden Deckmäntelchen (Holiday houses), brutaler vielleicht, aber effizienter. Da kann man Menschen einschliessen, und dann wollen wir mal sehen.



PS: Der Reisende informiert sich ab und zu über das Weltgeschehen.