Donnerstag, 14. Januar 2016

Bei den Schwänen













A flirt, yes – but no inspirations.




Natürlich muss ich nach Swansea. Natürlich ein Fussballspiel sehen.

Swansea City AFC, der Club, der vor 15 Jahren klinisch tot war, aber von Anhägern für einen Schnäppchenpreis erworben wurde. Und nicht nur wiederauferstand und sich Liga um Liga emporarbeitete, sondern seit ein paar Jahren zu den Grossen der Premierleague gehört. Eine der besonderen modernen Fussballgeschichten, bei welcher der Erfolg nicht durch potente Investoren erkauft, sondern durch das Herzblut von Idealisten erzwungen wurde.

Und jetzt sind sie oben, die Schwäne, wo man mit Herzblut allein nichts zu suchen hat. Sie haben ein neues Stadion, die Artikel des Fanshops unterscheiden sich weder im üblichen, phantasielosen Angebot noch in den horrenden Preisen von denen anderer Clubs, und die TV-Rechte spülen jährlich 100`000 Pfund in die Kasse. Gedeihen jetzt Perlen im Schwanen-See?

Am Vortag des Matches komme ich in Swansea an. Wo ist der Bahnhof oder die Kathedrale? So hat man einen Orientierungspunkt. Oder eben: Wo ist das Stadion? Ich werde mich von dort aus orientieren. Das RollingSweetHome fährt auf den grossen Stadion-Parkplatz und hält diskret im hintern Bereich an. Und jetzt wiederholt sich etwas – oder eben doch nicht. Ich steige aus, gehe aufs Stadion zu, und schon kommt mir ein smarter Offizieller entgegen. Ich erkläre mich, und schon bin ich, was ich bin, nämlich ein Gast. Aus der Schweiz. Aus St.Gallen! (Man erinnert sich gerne an das Spiel vor einem guten Jahr, nicht nur, weil man gewonnen hat, sondern weil man von den angefressenen und trinkfesten St.Galler Fans beeindruckt war.) Der smarte Typ stellt sich als Mathew vor und ist the manager of the stadium. He shows me around. Zuerst natürlich das Heiligtum, the pitch. Er spricht tatsächlich leiser, wenn er vom Rasen spricht. Als er für mich eine Photo von mir machen will, möchte ich mich zwei Meter weiter an (auf!) den Rand des Rasens stellen. Stop! Nein! Er sagt`s leise, aber bestimmt, wie ein manager of the cathedral, und deutet auf einen guy, der weiter hinten mit einer Hacke daran ist, den Rasen zu kitzeln und zu streicheln. Kopf nach unten, scheinbar selbstversunken. Er darf drauf stehen, den ganzen Tag, Quadratmeter um Quadratmeter, der Rasenflüsterer. Und er, der Chef, sagt ehrfürchtig und warnend zu mir: „Schau mal rüber zu ihm, wenn du dich dem Rasen näherst, spürt er`s sofort, und er wird mehr als nur aufschauen“, und es habe viel geregnet in letzter Zeit (stimmt!), und in den nächsten fünf Tagen würden hier zwei Fussballspiele und ein Rugbyspiel ausgetragen.




Dann in die Katakomben. In die Garderobe der Heimischen. Raumschiff Enterprise oder Disco? Oder wieder Kathedrale – Kardinalsgestühl auf heute übersetzt? Mit verschiedenen Beleuchtungsmöglichkeiten. Ich versuche mir den Raum vorzustellen, wenn er benutzt wird, in einer Halbzeitpause, mit Dreck und Schweiss – und Herzblut.

Die Gäste-Garderobe: Das ist Psychologie! Wer sich hier umziehen muss, kann nur verlieren. Holzwände und Holzbänke. That`s it. Im 60-er Jahre Turnhallen-Stil. Mathew schmunzelt.





Am Schluss werde ich der Empfangsdame übergeben, sie werde alles tun für mich (oder so ähnlich), und ich vergleiche mit Stoke, wo mein um ein Ticket winselnder Auftritt („from Switzerland und Shaqiri “) der Reception-Lady ein „Oh!“ und dem Ticket Office-Menschen ausser einem „Sold out“ gar nichts entlockt hat.

The match-day – Mit dem Velo kämpfe ich mich die knapp zehn Kilometer durch den Regen in die Stadt. Kein Erlebnis- und kein Wohlfühltourismus. Nirgendwo Schwäne füttern. Einfach eine walisische Stadt im Januar. Oder doch mehr? Warum komme ich gerade hier ins Gespräch mit einer Frau und einem Mann? Ich meine ein richtiges Gespräch, wofür man zusammen ein Glas Wein trinken geht. Warum lächelt später die Kellnerin in der Pizzeria gerade hier jedesmal, wenn sie an den Tisch kommt? Und verrechnet den Espresso absichtlich nicht? Solches ist besonders nach einem Monat britischem Winter. Swansea? Warum stosse ich gerade hier auf einen Dichter? Der jetzt als der grosse Sohn von Swansea gilt. – Dylan Thomas.


Time held me green and dying 
Though I sang in my chains like the sea


Es ist dunkel inzwischen, und es regnet immer noch. Über einem Laden steht das Wort “Inspirations”. Ich schaue genauer hin. Nur Hochzeitskleider, schade. Auf dem Vorplatz des Bahnhofs sind einige Bodenplatten mit Buchstaben versehen: „Ambition is critical…“ Was fangen die paar Menschen, die sich dahinter an die Mauer drücken, damit an? Was hat es mit dem Teeny girl zu tun, das sich fucking schreiend auf den Boden setzt, weil ihr fucking Begleiter nicht möchte, was sie möchte? Was bedeutet es für den Swansea AFC, der zur Zeit in der Premierleague gar nicht auf Höhenflug ist? Was fange ich damit an? – Ein Denkanstoss.





Anstoss ist eine Stunde später auch im Liberty Stadium. Habe ich vorher schon mal geschrieben von den englischen Torhütern? Swansea hat drei. Drei nicht-britische. Der polnische steht im Tor. (Ich werde bald Spielervermittler. Torhütervermittler. Und die guten Schweizer Goalies, die noch nicht in der Bundesliga sind, in der Premierleague anbieten.) Jedenfalls schenkt der Torhüter nach fünf Minuten den Gästen aus der Holzgarderobe das 1:0. Dann wird auf der andern Seite geschenkt: Der Schiri pfeift Elfmeter. 1:1. Noch in der ersten Halbzeit ein wirklich schönes Geschenk: Auskick des Polen (einer, der nicht im Out landete!), der Schwanen-Stürmer setzt sich powerful durch und schiesst ebenso powerful in die entferntere tiefe Ecke. 2:1. Die zweite Halbzeit ist kurz erzählt: Die Verteidigung und der Torhüter der Swans (sagen wir:) ermöglichen den Gästen drei weitere Tore.

Und (im Jargon): Gegen vorne spielen sie ohne Einfälle – no inspirations – wie eine Mannschaft spielt, die abstiegsgefährdet ist. 
Schlussresultat: Swansea 2 – Sunderland 4. „Ambition is critical.“