Montag, 18. Januar 2016

The last kick-off











Das Stadion interessiert zuerst. Am Vormittag bin ich schon da.



Um 15.00 spielen die Saints gegen die Baggies. Die Swans habe ich gesehen, gegen die Black Cats, die Bluebirds gegen die Rovers, die Villans gegen die Hammers und the Posh gegen the Shrews.


Ein erstes Mal ums Stadion herumstreicheln. Der Erste, den ich treffe, heisst Ronald Koeman. Mit der Mannschafts-Aufstellung in seinem Mäppchen.


Die Nächsten sind Bob Marley und Britn-i-gschpiars.


Dann ins Stadtzentrum, mit Blick zurück. Das Stadion von hinten. Es steht nahe bei den Docks, inmitten von Industrie, Industriebrache, Baufirmen und Autowerkstätten. Da, wo die workers mit den schmutzigen Händen sind. Für 40 Pfund wären sie dabei.


Für die, welche mehr als 40 Pfund im Handtäschchen haben, gibt es im Zentrum noch andere Möglichkeiten, in glückliche Momente zu investieren.


Gleich daneben sitzt John. Ohne Geld für Reizwäsche. Seit drei Jahren ist dies sein Platz. Auch nachts. Auch im Winter. Sein Hund gibt ihm warm, und er ihm. Eltern gestorben, die Freunde auch weg, als er nach zehn Jahren aus dem Knast kam, der Bruder hat Selbstmord begangen. „I have learnt a lot.“ Und die Zukunft? Er hoffe, „a place“ zu finden. Eine Wohnung meint er natürlich, aber wie klar ist das Englisch! „I hope to find a place“! Beim Abschied wünscht er mir „God bless you!“. Ob er denn an Gott glaube? „Of course“.


An der nächsten Ecke sticht mir das Wort „RUSH“ in die Augen. „Rush“ offen und ehrlich als Marke. Die Schönheit des Geldes und der Eile. Keine neue Erkenntnis, aber Reisen macht aufmerksam, oft und immer wieder aufs Gleiche.


Bei einer Unterführung zurück Richtung Stadion steht Fred. Er verkauft Match-Abzeichen. Für jedes einzelne Spiel wird eines hergestellt. Er bezieht sie und verkauft das Stück für 3 oder 4 Pfund. Ein Zustupf zum Wenigen, das er habe. Ans Spiel selber geht er nicht. Er stehe da bis nach dem Spiel, und morgen sei er an der Anfield Road in Liverpool. 400 km. Abzeichen verkaufen.


Jeder Vorplatz und jeder Hinterhof dient als Parkplatz für die Matchbesucher. Five Pounds. Die Gelbwesten-Stewards kassieren und weisen ein. Auch die Kirche nimmt am Geschäft teil. Schön, wie jeder Quadratmeter des Kirchenplatzes, eigentlich eine Grünanlage, nach und nach mit Blech gefüllt wird. 100 Autos bringen 500 Pounds. 50 Heimspiele = 40`000 Euro. Glücklicher Opferstock!


Der Fanshop im Stadion ist prallvoll. Verkäuferinnen verkaufen und Stewards beaufsichtigen. Ich staune über zwei Dinge. Oder staune eben nicht. Erstens was die Leute (z.T. vom Aussehen her nicht weit von den working poor entfernt) alles an überteuerten Dingen zum Ladentisch schleppen. Zweitens über einen Artikel, von dem es nur noch diesen einen gibt, herabgesetzt von 8 Pounds auf 2 Pounds: Ein Hundefressnapf aus billigstem Plastik. Werde den Herrn Koeman nach dem Spiel auf die günstige Gelegenheit aufmerksam machen.


Man liebt die Leuchtwesten in diesem Land. Sie sind nicht nur ein Schutz für jene, die auf der Autobahn die Linienmarkierungen auftragen. Fast die halbe Bevölkerung wird in gelbe, reflektierende Westen gesteckt. In diese dicken, robusten Five-seasons-survival-Säcke. Mit dem Wort „Steward“ auf dem Rücken. Soll heissen: Ich bin für etwas zuständig. Ich stelle mir die Mailänder Scala auf Britisch vor: Leuchtgelb Aufgeplusterte auf den Parkplätzen, bei den Eingängen, bei der Garderobe, als Programmverkäufer, als Techniker und auf den Rängen als Platzanweiser. Noch etwas stelle ich mir vor: Die oben erwähnte, sich unter dem Westenpaket befindliche, zierliche, minimale, rosa, schwarze und violette Reizwäsche der feschen Trägerinnen, die dann nach erfolgtem Einsatz zum Vorschein kommt. Interessant ist auch, dass einige Wenige orange Westen tragen, was wahrscheinlich auf einen höheren Rang hinweist. Und wenn dann noch drauf steht „Senior Steward“ oder „Deputy Senior Steward“… 



Eigentlich will ich ja nur schreiben, dass ich einen Fussballmatch besuche. Den letzten. Morgen geht die Fähre. Southampton gegen West Bromwich Albion. Im St.Mary`s Stadium.

Spielbericht: Keiner der (englischen!) Torhüter versemmelt einen Ball. Jeder Auskick landet im Spielfeld, und jede Rückgabe wieder bei einem eigenen Spieler. Ohne Ausnahme. – 3 zu 0.