Montag, 14. Dezember 2015

White collars and black colours










Oh England, du alte Geliebte. Und lange vernachlässigte. Lass dich wieder mal besuchen.


Warum nicht  im Winter? Merry-Christmas-Kläuse hast du ebenso hässliche zu bieten wie die Schweiz, wo man vor Jahren wenigstens noch vom Christkind gesprochen hat. Aber auch dieses ist wegglobalisiert und weghalloweenisiert worden. Also dann: Weihnachten bei den Briten – ein Fertig-Figugegl und ein Caquelon habe ich dabei. Dazu wird`s Bier geben, vielleicht ein „Old Speckled Hen“.

Die Anreise ist wie immer: In Calais runter von der Autobahn und rauf auf die Fähre, wo ich beim Einchecken (neu!) mit Namen begrüsst werde. Die ganze Überwachungs-Scannerei tut auch Gutes und lässt uns einander persönlicher begegnen.

Dann die weissen Kalkfelsen von Dover, zwar nicht weiss genug für eine Zahnpasta-Werbung, vielleicht, weil es ist, wie es sein muss, nämlich grau verhangen und regnerisch. Man weiss, man ist da.




Die Fahrt nach London auch wie immer: Scheibenwischer an – aus – an – aus. Lovely weather.

Das erste Ziel ist die City of London, wo ich Ovidiu besuchen möchte. Aber wo kann ich, etwas ausserhalb, den Wohnanhänger stehen lassen? Grund und Boden sind rar und werden verteidigt. Auch wenn es Platz hätte. Einzige Lösung: Ein Campingplatz, der zwar geschlossen ist, aber man macht eine Ausnahme und lässt mich den Anhänger auf dem grossen, leeren Parkplatz abstellen. „You were lucky that the manager said yes“, meint der Gärtner anschliessend. Lucky – für 10 Pfund pro Tag!

Ovidiu, mein Freund aus Rumänien, ist auch lucky. Er hat für 400 Pfund monatlich ein kleines Zimmer. Nun, er hat auch Arbeit gefunden auf dem Bau, und weil er sonst sparsam lebt, kann er etwas zur Seite legen. Es hat viele Rumänen hier, die dies versuchen. Einer hat einen Job gefunden, bei dem er einfach nur dasitzen muss.




So schlage ich mich erst mal zweisprachig durch: mit den Rumänen Rumänisch, mit den Indern, den Pakistani, den Portugiesen und den Schwarzen Englisch.

Erst am zweiten Tag auf meinem Rundgang durchs klassische Zentrum sehe ich „richtige Engländer“. Aber mit ihnen gibt es nichts zu reden. Sie spielen alle business. Auch klassisch: schwarze oder dunkelblaue Anzüge, schwarze, glänzende Halbschuhe, blaue oder weisse Hemden, blaue oder ausnahmsweise nicht blaue Krawatten. Mit ihnen müsste man sicher auch Englisch reden. Aber worüber? Ihre Haupttätigkeit, so wie ich sie sehe, ist, von einem grossen Glasgebäude ins nächste zu gehen oder (es sind ja auch Menschen) hinter einer kleineren Glasscheibe ein Sandwich zu essen. Oft kann man hineinsehen, wie sie sich in den Glashäusern bewegen, in der mondänen Vorhalle oder auf Balustraden. Ich erinnere mich, wie ich als Kind fasziniert dem Treiben im Innern eines Ameisenhaufens, den ich leicht angestochert hatte, zugeschaut habe. Alle wissen, wohin sie gehen und was sie zu tun haben. Wissen sie es wirklich? Und wozu? – Kinderphilosophische Ansätze.

Dass die Namen der Pubs oft originell sind und manchmal meine Englisch-Kenntnisse überschreiten, weiss ich ja. Darum nehme ich an, dass „dick“ ausser der zweiten auch noch eine erste Bedeutung haben muss.




Die andere Gruppe von Menschen im Zentrum spricht nicht Englisch. Dafür lachen sie. Und strecken die Victory-Finger in die Höhe. Sie feiern sich selber. Zu zweit oder zu dritt. Sie halten ihre Handys mit einem Verlängerungsstab vor sich hin und knipsen ihre Gesichter. Ohne die Towerbridge wenigstens als Hintergrund zu wählen. Nicht mal „Ich bin hier“, einfach nur „Ich bin“. Was für ein victory!

Am dritten Tag wird mir ein echtes Lachen beschert. Von Véronique aus Nigeria. Sie ist Köchin in einem Lokal für Schwarze im Stadtteil Dagenham. Sie bereitet ihre afrikanische Lebersuppe zu. „You want try? Very chili! – Ah, I see, you like!“ „Véronique, lass uns eislaufen gehen hinter dem Tower!“