Freitag, 1. April 2016

Budapest Mexiko










So heisst die Tram-Endstation




Grossstädte – na ja. Eher unfreiwillig.

Und die Gelegenheit kam, drängte sich auf.

Das Scheppern der Vorderräder steigert sich täglich. Bei Budapest geht`s nicht mehr. Steuerung hart und Bremsen schwach. In die Klinik. Operation. Aber woher die benötigten Organe nehmen?

Positive sinking: Eine Woche Ferien in Budapest.

Schöner Anflug. Kriechend auf einer langen Einfallstrasse. Sightseeing durch die Bezirke der Aussortierten und der neu sich Einsortierten. Outsourcing-, outlet, Auto-Glashäuser zwischen Irgendwo- und Irgendwann-Gebäuden. Reklamen und Freiwildfussgänger. Im täglichen Stillstand sich Bewegende. Brot Holende, Bier Trinkende, Benzin Tankende, Ab- und Aufladende. Einladend sind die farbigen Nutten, werbend an Strassenrändern, wo es Büsche hat dahinter. Es sind Frauen, eigentlich. Ein Eiliger zeigt mir den Vogel. Ein Hilfsbereiter den Weg zu einer Autowerkstatt.

Wartende? Wie kann man warten, wenn nie etwas kommt? Aufs Tram höchstens, oder auf die Nacht oder auf einen Freier. Ab und zu ein Pfeil, der geradeaus zeigt, Richtung Zentrum. Das Zentrum als das Ziel. Als geographischer Mittelpunkt oder als mehr?

Jetzt steht das Rolling Sweet Home zwischen Werkstatt und lärmiger Strasse. Weiter hinten ein eingezäuntes Brachgelände mit einem vielfältigen Abfallhaufen davor. Durchs andere Fenster lese ich, was die Garage alles kann: Futomü felujitasa, Fekfolyadekcsere, Fagyallocsere usw., vieles mit F.




Ich brauche zwei Liter Benzin für den Stromgenerator und laufe mit einem Kanister zur Tankstelle. Auch hier wird etwas mit F angeboten. „Fuck?“, werde ich da mehrmals gefragt. Tankstellen: Die heutigen Karawansereien. Die Orte des Zwischenhaltes, der Erfrischung und des Kräfte Tankens (oder Ablassens). Diesel, Red Bull, Pommes chips und Sex im Busch. Zu konkurrenzlosen osteuropäischen Preisen.

Am Abend Sport statt Sex. Mit dem Velo die verbleibenden Kilometer den Zentrums-Pfeilen nach. Auf dem Trottoir – safer sports. Oft muss ich anhalten, wenn sich mir bestiefelte Beine in den Weg stellen. Dicke und dünne, kurze und lange. Ich liebe Sprachen, mir gefällt das dunkle, leicht metallene „ä“. „Säx?“ „Tschüss, ich Välo!“

Das Zentrum ist wie Zentren solcher Städte sind: Die shopping-Meile, die Fress-Meile, die Bar-Meile, dazwischen dosiert beleuchtete Kulturfassaden. Und, es muss sein: Sex Shops. (Morgen werde ich einen besuchen, den, der mit „Sex for Adults“ angeschrieben ist.) Die Menschen – Stadt-Gestresste, Stadt-Strolche, Stadt-Trinker, Stadt-Gehetzte, Stadt-Indianer, Stadt-Aufgestellte, Stadt-Telephonierer, Stadt-Kleingeldjäger, Stadt-Touristen, Stadt-Psychoten, Stadt-Taxifahrer, Stadt-Schwellenschläfer, Stadt-Protzer und beim Blick hinauf Fenster, hinter denen Licht ist – Stadt-Wohnende. Einer schwellt seinen gebildeten Body und muss zum Telephonanieren seine Ellbogen breit ausfahren. Er stösst mich an – „Sorry, ich bin`s nur.“ Dann nochmals das Spiessnuttenfahren nach Hause. Und vor dem Caravan? Steht eine pinkige Blonde. „Blow job?“ – Oh Mäxiko…



Städte (ich meine nicht die gepflegten Schweizer Kleinstädte mit Stiefmütterchen-Beeten und Strassensozialarbeitern) – Städte sind Ballungszentren. Und was ballt sich? – Na eben.

Osteuropäische Städte haben immer einen Platz, der Platz des Friedens heisst. Und einer heisst Platz der Unabhängigkeit. Und einer Platz der Freiheit. In einer Wüstenstadt gibt es bestimmt einen Platz des Wassers. Was man eben nicht hat. Platz der Langsamkeit statt Picadilly Circus? Platz des Matriarchats im Iran oder in Saudiarabien? Platz der Bescheidenheit in Zürich? Platz des Denkens in Mekka. Piazza Senza Dio in Rom? Platz der Arbeit in Shallallahbad? Platz der Keuschheit in Phuket? Platz der Himmlischen Frivolität in Pyongyang? Platz der Schlemmerei in … ?

In Budapest finde ich den Platz der Freiheit. Autofrei, menschenfrei, sexfrei und (fast) abfallfrei. Nur Kulisse und ein bisschen Land-art.








Budapest ist fröhlich. Die Leute sprechen lustig. Ich weiss jetzt, warum die beim Schreiben die Vokale noch garnieren mit Strichli oder Pünktli. Damit sie sie alle gleich aussprechen können. Als dreckige ä oder ö. Und viele Koz- und Köz-Wörter werden beigemischt. Die Damen gehen zur Kozmetik. Gekötzt darf aber nicht überall werden – da gibt es Schilder, die zum Közpunt zeigen. Auch der Schnaps beginnt mit Kö. Körte. Dazu braucht es noch die richtige Sprachmelodie. Wie wenn man sagt: „Ach, ist doch alles für die Katz.“ – „Öch, ist ölläs fir die Kötz. Ich möchtä közlichäs Gulasch, abör die gebän mir nur schlöchtän Körtä-Fösöl. Es ist zum Hööre rofän!“
Hinter den einfallslosen Einfallstrassen wird göläbt. Da gibt`s saubere Quartiere mit Fussgängärzonän, Supärmärktän und Bankömätän. Die Mütter fahren ihre Kindärwagän zwischen den städtischen Blumentöpfen spazieren, die Vöglein pfeifen, die Eis-Stände erwachen, und alle 20 Meter steht ein Abfallkübäl. Eine orange Kleinfamilie trinkt Kaffee mit mir. Papa, in seiner Arbeitslatzhose, zeigt mir, dass er Frauän mag: Er hält die Hände gefaltet vor den Mund, öffnet sie aber einen Spalt und macht dahinter begeisterte Zungenbewegungen. Der kleine Junge versteht sofort und möchte ein Eis. Mama lacht mit, scheint beide zu verstehen und holt ein Eis. Eines nur. Papa muss warten.












Die Welt ist farbig, und die Kinderwagen sind gut besetzt.